Von der KiSS zum Handballprofi…

 
 
Von der Kindersportschule (KiSS) zum Handballprofi
 

Vor Kurzem unterschrieb die erst 17-jährige Luisa Scherer einen Profivertrag für die neue Saison beim Buxtehuder SV in der ersten Handball Bundesliga für Frauen (HBF). Die Rechtsaußen, derzeit für die zweite Mannschaft des TV Nellingen in der Württemberg-Liga Süd aktiv, verbrachte große Teile ihrer Kindheit & Jugend in Calw. Mit der Unterschrift beginnt für die gebürtige Lörracherin nun ein neues Kapitel in ihrer noch jungen Profikarriere. Im Interview erzählt sie uns voller Stolz über ihre frühen Anfänge in der Kindersportschule (KiSS) des TSV Calw und ihren steilen Aufstieg bis in die Bundesliga der Frauen und präsentiert sich dabei erfrischend ehrgeizig, selbstbewusst und gleichzeitig bescheiden – beste Voraussetzungen für eine erfolgreiche Profikarriere.

 
Andere Jugendliche in deinem Alter befinden sich wahrscheinlich noch in der Findungsphase. Du hast schon einen klaren Plan für die nächsten Jahre. Woher kommt deine Begeisterung für den Handballsport und wann ging es los?

Mit dem Sport habe ich schon sehr früh angefangen. Er war immer ein großer Bestandteil in meinem Leben. Den wirklichen Einstieg bekam ich dann mit der Kindersportschule des TSV Calw. Alle Grundlagen wurden hier gelegt, vor allem aber die Freude und der Spaß für die sportliche Betätigung. Die Entscheidung „pro Handball“ fiel direkt nach der letzten Ausbildungsstufe der KiSS. Warum die Begeisterung für den Handball? Der Handball ist dynamisch, kraftvoll, schnell und teilweise aggressiv. Ich liebe die eins gegen eins Situationen.

 

Kannst du dich noch an deine ersten KiSS-Stunden erinnern bzw. wie sind allgemein deine Erinnerungen an die KiSS?

Ich erinnere mich nicht mehr an meine allererste KiSS-Stunde, aber ich erinnere mich an ganz viel aus der KiSS-Zeit. Vor allem an ganz viele lustige Spiele, wie z.B. Takeshis Castle. Mit diesen Spielen verbinde ich die Kindersportschule.

 

Du bist ein Paradebeispiel für jede Kindersportschule, da du die Kiss komplett durchlaufen hast. D.h. du bist mit vier Jahren eingestiegen, hast bis zum Alter von zehn Jahren alle Ausbildungsstufen der KiSS durchlaufen und dich erst anschließend für den Handballsport entschieden. Wenn du die KiSS retrospektiv betrachtest: Was zeichnet die KiSS aus und was hat sie dir persönlich gebracht?

Man bekommt einen Einblick in viele verschiedene Sportarten und erlernt grundlegende Bewegungsformen bzw. –varianten. Vor allem steht immer der Spaß an der Bewegung im Vordergrund. Natürlich habe ich mich auch immer darauf gefreut, Freunde in der Kindersportschule zu treffen und gemeinsam mit ihnen Sport zu treiben. Besonders gut fand ich die einzelnen Lernabschnitte. Eine gewisse Zeit lag der Fokus dann z.B. auf Turnen oder auf Leichtathletik. Es war super, um ein Gefühl dafür zu bekommen, welche Sportarten einem Spaß machen und welche nicht. Ich denke, die Grundlagenausbildung, die den Kindern in der KiSS angeboten wird, ist unfassbar wichtig, um sich am Ende auch für die richtige Sportart zu entscheiden. So habe ich z.B. vor knapp 8 Jahren mit dem Handballsport begonnen.

 
 

Wenn du allgemein an den TSV Calw denkst, was verbindest du mit ihm?

Als allererstes natürlich die Kindersportschule – ich war schließlich fast sieben Jahre Teil des KiSS-Konzepts. Ein großer Bezugspunkt ist aber auch die Handballabteilung. Mein Bruder ist nach wie vor bei der Spielgemeinschaft Hirsau-Calw-Bad Liebenzell angemeldet und kommt trotz seines Studiums in Innsbruck von Zeit zu Zeit zu den Meisterschaftsspielen nach Calw. Deswegen verbinde ich mit dem TSV Calw eine Art große sportliche Familie.

 

Wenn du die Möglichkeit hast den heutigen KiSS-Kindern etwas mit auf den Weg zu geben. Was würdest du ihnen sagen?

Kommt regelmäßig. Ich war immer ganz stolz, wenn meine Ankreuzliste zur Anwesenheit komplett voll war. Das Wichtigste: Habt massiv viel Spaß und geht auch zum Sport, wenn ihr mal keine Lust habt. Vor allem gebt nicht auf.

 

Wie bist du nach Buxtehude gekommen und warum hast du die Heimat verlassen?

Angefangen hat es damit, dass ich von meiner DHB-Juniorinnen-Trainerin Marielle Bohm im Training gesehen wurde und mich für das Deutsche Juniorinnen-Auswahlteam empfohlen habe. Parallel dazu habe ich in der Bundesligamannschaft in Nellingen schon mittrainiert und sogar meine ersten Einsätze bekommen bzw. Spielminuten gesammelt. Der Buxtehuder SV hat zum gleichen Zeitpunkt eine Spielerin auf meiner Position gesucht, da das Team in der vergangenen Saison nur mit einer Rechtsaußen gespielt hat. Daraufhin wurde ich zum Probetraining eingeladen. Da bin ich natürlich voller Vorfreude erst einmal komplett ausgerastet. Während der Abi-Vorbereitungen durfte ich dann für drei Tage nach Buxtehude fahren und mit der Mannschaft mittrainieren. Das Training hat mich absolut überzeugt. Es bestand aus vielen Komponenten: Wurftraining, Krafttraining, Taktiktraining usw., einfach wahnsinnig vielseitig und professionell. Das Athletiktraining mit Athletiktrainer Philipp Winterhoff war außergewöhnlich. Zudem war die Mannschaft mir gegenüber sehr offen und besteht aus einer guten Mischung an erfahrenen Spielern und jungen Spielerinnen. Das Team befindet sich derzeit im Umbruch und es wird keine leichte Aufgabe, aber ich freue mich auf die neue Herausforderung. Es ist der richtige Zeitpunkt, um zu wechseln.

 

Ist Handball eine Sportart für Jedermann? Was für Fähigkeiten muss ein Sportler besitzen, um es in den Profibereich zu schaffen?

Das ist wirklich eine sehr schwierige Frage. Meiner Meinung nach gibt es viele Faktoren, die dafür, aber auch dagegensprechen. Man muss klar zwischen Hobby- und Leistungsebene unterscheiden, denn Handball ist sehr robust und dadurch kommt es häufiger zu kleineren oder größeren Verletzungen. Deswegen ist es in jedem Fall kein Sport, der die Gesundheit fördert und wahrscheinlich auch nicht für Jedermann. Wenn man es tatsächlich auf die Leistungsebene schaffen möchte sind viele Eigenschaften notwendig: Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Spielintelligenz, Wille, die Fähigkeit, schnelle Entscheidungen zu treffen und Mut für Zweikämpfe. Diese Vielseitigkeit ist es, die mich am Handball so fasziniert. Vor allem sollte die Sportart aber Spaß machen. Das ist meiner Meinung nach die Grundvoraussetzung für jede Sportart.

 
 

Du hast es ja angesprochen – Handball ist sehr robust. Wie sieht es bei dir aus? Bist du bisher verletzungsfrei geblieben?

Ja, eigentlich schon. Bis auf ein paar kleine Bänderrisse oder mal ein „Veilchen“ am Auge, sogenannte „Kleinigkeiten“. Insgesamt sind die häufigsten Verletzungen aber Schulter- und Knieverletzungen. Davon bin ich aber glücklicherweise bisher verschont geblieben.

 

Was treibt dich persönlich an, um weiter nach vorne zu gucken?

Klar ist es ein großer Schritt, wenn man es in die Bundesliga geschafft hat, aber ich möchte auch in der Mannschaft bleiben, mich in der Liga etablieren und Leistung zeigen. Das nächste Ziel ist es, dass ich meine Chancen nutze und mir immer mehr Spielzeiten erarbeiten möchte. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Aber mit Trainingsfleiß, einer sehr guten Einstellung kann man sehr gut in so ein starkes Team hereinwachsen. Natürlich möchte ich mich auch für die Juniorinnen-Nationalmannschaft für die U19 Europameisterschaft diesen Sommer empfehlen und mitfahren. Die Chancen stehen auf dem Papier bisher ganz gut. Aktuell sind wir zu zweit auf meiner Position. Aber es gibt natürlich immer andere Spielerinnen, die auch auf ihre Chance warten. Ich werde auf jeden Fall alles geben, um dabei zu sein.

 

Wer finanziert dein ganzes Abenteuer?

Meine Eltern werden mich bestimmt auch in der neuen Saison unterstützen, das haben sie bisher auch getan und dafür bin ich wirklich sehr dankbar. Ich denke aber, dass ich für das kommende Jahr relativ wenig Unterstützung von außen benötige. Einerseits möchte ich möglichst eigenständig sein und andererseits bekomme ich ab der neuen Saison ein Festgehalt durch meinen Handballvertrag. Innerhalb des Vereins werde ich zusätzlich ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvieren.

 

Wenn du deine bisherige Laufbahn als Handballerin betrachtest: Was war dein bisher größter sportlicher Erfolg?

Natürlich der Profivertrag beim Buxtehuder SV. Mir ist aber bewusst, dass eine Unterschrift alleine noch nichts bedeutet. Ich muss mich in einem neuen Verein beweisen und will natürlich auch Leistung zeigen. Davon abgesehen würde ich den Deutschen Meistertitel mit der Württembergischen Landesauswahl (Länderpokal, d. Redaktion) als größten sportlichen Erfolg ansehen. Hinzu kommt der diesjährige Aufstieg mit der zweiten Mannschaft des TV Nellingen in die Baden-Württemberg Oberliga. Für uns als Mannschaft aber auch für mich persönlich war dieser Aufstieg das Erreichen eines lang ersehnten Ziels, das wir die komplette Saison über zielstrebig verfolgt und nicht aus den Augen verloren haben.

 

Über deine kurzfristigen persönlichen und sportlichen Ziele haben wir schon gesprochen. Gibt es auch langfristige Ziele? Ist z.B. die deutsche Nationalmannschaft der Frauen ein Ziel?

Ich habe mich ehrlich gesagt vorher kaum mit dem Thema Leistungssport auseinandergesetzt. Klar bin ich ehrgeizig, aber Themen wie z.B. Leistungssportlerin zu werden oder ein Teil der deutschen Nationalmannschaft zu sein, waren für mich so weit weg, dass ich nicht darüber nachgedacht habe. Auch die Einladung zur Juniorinnen-Nationalmannschaft kam eher überraschend. Aber natürlich ist es, und sollte es auch zukünftig sein, ein Ziel in die deutsche Nationalmannschaft zu kommen. Momentan konzentriere ich mich erst einmal auf Buxtehude und hoffe bei der Junioren- Nationalmannschaft dabei zu sein. Ich glaube an meine Stärken und denke, dass ich es schaffen kann.

 

Welcher Sportler hat dich am meisten geprägt bzw. ist dein Idol?

Amelie Berger (Deutsche Nationalspielerin, spielt bei Bayer Leverkusen, d. Redaktion) ist definitiv eine Spielerin an der man sich sehr gut orientieren kann. Mit 19 Nationalspielerin zu sein ist schon eine wirklich starke Leistung. Aber auch Carmen Martín (Spanische Nationalspielerin, derzeit für den CSM Bukarest aktiv, d. Redaktion) inspiriert mich sehr, weil sie super viele Wurfvarianten besitzt und das ist eine Sache, an der ich noch mehr arbeiten möchte. Vor einem Jahr habe ich noch ganz andere Idole gehabt. Größtenteils sind es aber immer Spieler und Spielerinnen, die selbstbewusst und mutig spielen, aber bodenständig und sympathisch bleiben. Ein einziges Idol gibt es für mich nicht wirklich. Ich orientiere mich gerne an starken Persönlichkeiten. Diese spielen dann meistens auch auf meiner Position.
 
 

Der zeitliche Aufwand den du bisher neben der Schule betrieben hast ist enorm. Wie konntest du den Sport und die Schule miteinander verbinden? Das war bestimmt nicht immer einfach.

Das stimmt tatsächlich. Im Schnitt bin ich drei bis vier Mal pro Woche nach Nellingen zum Training gefahren. Das sind reine Fahrtzeit 3 Stunden pro Tag. Aber ich habe mich bewusst für Nellingen entschieden. Viele von meinen Freunden sind in die dritte Liga gewechselt, aber da waren mir für diese Saison die Auswärtsfahrten einfach zu weit. Einen Teil des Wochenendes brauchte ich für die Abi-Vorbereitungen. Davon abgesehen ist es ein großer Schritt vom Jugend- in den Frauenbereich. Den Übergang wollte ich ein bisschen fließender gestalten. In Nellingen kannte ich mein Umfeld, darüber hinaus gab es die Möglichkeit bei der Bundesligamannschaft mit zu trainieren. Wenn ich gemerkt habe, dass ich mehr Zeit zum Lernen benötige, habe ich das Trainer-Team informiert und bin nicht zum Training gekommen. Das war auch für beide Seiten in Ordnung. Ich bin nicht nur im Sport ambitioniert. Es ist mir sehr wichtig auch einen guten Schulabschluss zu bekommen. Das Abitur hat im Moment Priorität Nummer eins. Sicherlich war das nicht immer einfach, aber ich habe immer versucht das Maximum aus beiden Geschichten herauszuholen. In der neuen Saison wird das bestimmt einfacher. Ich wohne dann mit einer Mitspielerin in einer Wohngemeinschaft und habe keine weiten Fahrten mehr zum Training. Darauf freue ich mich wirklich sehr.

 

Liebe Luisa, wir danken dir sehr herzlich für das Gespräch und werden gespannt deinen Weg weiterverfolgen. Für deine zukünftigen Aufgaben wünschen wir Dir alles Gute und drücken dir alle Daumen für deine persönlichen und sportlichen Ziele.